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„Unter den klassischen Liebespaaren des islamischen Orients sind Leila und Madschnun zweifellos das berühmteste. Diese beiden kennt und nennt man noch heute wie eh und je in Liedern, Gedichten, Geschichten und Epen der verschiedensten Völker und Sprachkreise vom Kaukasus bis ins Innere Afrikas, vom Atlantik bis an den Indischen Ozean.
Nizami war es, der die verstreuten und uneinheitlichen arabischen Überlieferungen erstmals zu einer großen, in sich geschlossenen Dichtung, einem Epos, verwoben hat.“ – Rudolf Gelpke, 1963
„Das dritte Epos Niẓāmīs behandelt die Liebe eines berühmten Paares: Laili o Maǧnūn, (Laila und Madschnūn; Die Nachtäugige und der Narr), das orientalische Gegenstück zu Romeo und Julia.
Niẓāmī macht aus dem volkstümlichen, auf arabische Quellen zurückgehenden Stoff wiederum ein hochpoetisches und zugleich tiefsinniges Meisterwerk: ’Liebe, Wahnsinn und Dichtertum; der persische Meister hat diese drei Elemente der überlieferten Maǧnūn-Gestalt als sich gegenseitig bedingende Aspekte eines unteilbar Einen begriffen.’“ – Johann Christoph Bürgel, 1973
„Im arabischen Sprachgebiet wird der Stoff traditionellerweise nach Madschnun allein, nach „dem Madschnun der Leila“ oder nach „Madschnun und Leila“ – mit Voranstellung des männlichen Namens – benannt. Hingegen steht seit Nizami in den persischen und bald auch den türkischen Titeln meist der weibliche Name voran. In der jüdischen Erzählung scheint diese Stellung weder durch die jüdische Tradition noch – falls der Autor Sefarde oder Aschkenase war – durch die romanisch-germanische Tradition angeregt zu sein. Denn bei jüdischen Originalwerken der Zeit vor 1600 sind Titel mit solchen Namen schon aus inhaltlichen Gründen selten. In den Titeln der romanisch-germanischen Literaturen wiederum finden wir vor 1600 zwar mindestens vierzig Liebespaare, doch bis auf vier oder fünf wenig einflußreiche steht auch hier der männliche Name voran. Deshalb ist die gemeinsame Voranstellung des weiblichen Namens in der orientalistischen und der jüdischen Erzählung ein weit spezifischeres Faktum, als man zunächst glauben könnte.“ – Erika Timm, 1986
„Der Stoff der tragischen Liebesgeschichte von Laila und Qais (= Madschnun), in arabischer Überlieferung jahrhundertelang bekannt, wurde 1188 von Nisami in ein klassisches Epos umgeformt. Vage Kenntnis davon fand schon im 19. Jahrhundert Eingang in die französische und englische literarische Welt, und die deutsche Sprache musste auf ein breiteres Bekanntwerden dieses Werkes am längsten warten. Im 20. Jahrhundert war es der Schweizer Islamwissenschaftler RUDOLF GELPKE (1928–1972), der als erster Leila und Madschnun in eine westeuropäische Sprache übertragen hat. Es erschien auch 1963 mit dem Zusatz im Titel: „erstmals aus dem Persischen verdeutscht“. Rudolf Gelpke hat dieses relativ kleine, aus ca. 3600 Versen bestehende Versepos in deutsche Prosa gebracht, jedoch in eine rhythmisch gehobene Prosa, die sich sehr flüssig liest. Einzelne Stellen von besonderer Poesie und Spiritualität hat er teils in gereimte Prosa, teils in Versform gesetzt, so dass der Text im Deutschen als Kurzroman mit eingestreuten Gedichten erscheint.
’Leila und Madschnun’ von Rudolf Gelpke hat bis heute mehrere Auflagen erlebt. Und das ist erstaunlich, denn handelt es sich hier nicht um eine unserem Denken ganz fremde Liebesgeschichte? Leila und Madschnun beharren auf ihrer Treue zueinander. Beide, Leila im Verborgenen genauso wie Madschnun in seiner sichtbar nach außen getragenen Ekstase, sind sich einig im Verzicht auf die Vereinigung im irdischen Leben und in der Gewissheit, diese im ewigen Leben zu erlangen. Eine Geschichte von Liebe und Treue wie so manche? Doch wir lesen sie durch Gelpkes Sprache wie eine Blüte aus dem eigenen Garten.“ – Rosemarie Kuper, 2018
In folgendem Video [2:42] hören Sie die Verse, die Nisamis Madschnun zu Leila spricht bei der einzigen Begegnung der Liebenden seit ihrer gewaltsamen Trennung und seiner Flucht in die Wildnis.
LEILA und MADSCHNUN
Video [2:42], Deutschland 2021
Musik
Fikret Amirov (1922–1984)
Nocturne for Piano (Baku, 1954)
Klavier
Murad Adigezalzade
Bildgestaltung, Kamera und Schnitt
Jasper Benning
Sprecher
Guido Meyer
Projektleitung
Sewil Fuchs
Literatur:
- Rudolf Gelpke: Nachwort zu: Leila und Madschnun. Erstausgabe 1963; 7 Aufl.; Manesse Verlag, Zürich 1996, 315, 316.
- Johann Christoph Bürgel: In: Kindlers Enzyklopädie: Die Großen der Weltgeschichte, Bd. 3, Kindler Verlag, Zürich 1973, S. 530.
- Erika Timm: Zwischen Orient und Okzident: Zur Vorgeschichte von „Beria und Simra“. In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 27/1986, S. 304–305.
- Rosemarie Kuper: Nisami Gändschewis Werk im Spiegel deutschsprachiger Dichtung, Übersetzung und Orientforschung vom 19. Jahrhundert bis heute. Vortrag in: Uni Hildesheim – Center for World Music, Hildesheim 28.10.2016.