Am 11. Mai 2025 veröffentlichte das US-Wirtschaftsmagazin Forbes einen ausführlichen Hintergrundartikel mit dem Titel „Azerbaijan Angles To Distinguish Its Wines“, verfasst vom Weinjournalisten Tom Mullen. Darin berichtet er über die Wiedergeburt der Weinkultur in Aserbaidschan und zeigt auf, wie das Land, das einst unter der sowjetischen Planwirtschaft im Weinbau litt, heute neue Massstäbe setzt, um sich als eigenständige Weinregion international zu etablieren.
Mullen beginnt mit einem Blick in die Geschichte: In der Sowjetzeit produzierte Aserbaidschan jährlich über 10 Millionen Hektoliter Wein. Doch 1985 vernichtete die Anti-Alkohol-Kampagne von Michail Gorbatschow über 32.000 Hektar Weinberge. Nach dem Zerfall der Sowjetunion kam der Weinbau fast vollständig zum Erliegen – viele Winzer verliessen das Land oder wanderten in Städte wie Baku ab.
Ab den frühen 2000er-Jahren setzte jedoch ein langsamer, aber stetiger Wiederaufbau ein. Bis 2017 wurden jährlich etwa 2.000 Hektar neue Weinberge gepflanzt. 2018 eröffnete in Baku die erste Sommelierschule des Landes.
Laut Forbes liegt das Potenzial aserbaidschanischer Weine nicht im Kopieren europäischer Vorbilder, sondern in der konsequenten Pflege und Weiterentwicklung einheimischer Rebsorten. Über 450 autochthone Sorten existieren im Land – besonders hervorzuheben sind die rote Madrasa und die weisse Bayanshira. Diese werden zunehmend sowohl reinsortig als auch in internationalen Cuvées verwendet, wodurch der regionale Charakter erhalten bleibt.
Der aserbaidschanische Weinkonsultant Penah Abdullayev wird mit den Worten zitiert: „Wenn auf dem Etikett Madrasa steht, ist das sofort spannend. Wir müssen ein lokales Weinprofil aufbauen.“
Deutsches Erbe und moderne Technik
Forbes beleuchtet auch das regionale Spektrum der Weingüter. So wurde das Weingut Goygol bereits 1860 von deutschen Siedlern gegründet. Es bewahrt noch heute Elemente dieser Tradition und nutzt unter anderem massive handgefertigte Holzfässer. Hier entstehen Weine aus lokalen und internationalen Rebsorten – von Madrasa bis Pinot Noir.
Das Weingut Savalan Aspi im Tal von Savalan setzt hingegen auf moderne Produktionsmethoden, italienische Ausrüstung und besitzt das grösste noch genutzte Eichenfass der Welt mit über 66.000 Litern Fassungsvermögen. 23 verschiedene Weine werden hier produziert, ein Grossteil davon geht in den Export nach Russland und Europa.
Wein als Lebensphilosophie
Ein besonderes Porträt widmet Mullen dem Gefässchirurgen Dr. Farhad Ağayev, der das Weingut F.A. Valley an der Kaspischen Küste aufgebaut hat. Er setzt auf italienische Sorten wie Aglianico, Sangiovese und Nero d’Avola, natürliche Hefen, Betonbehälter und Amphoren aus Norditalien. Seine Philosophie ist klar: „Wein ist kein Getränk. Es ist Energie, Nahrung und Philosophie.“
Mullen führt in seinem Artikel auch eigene Verkostungsnotizen zu 18 aserbaidschanischen Weinen auf. Besonders hervorgehoben werden:
Chabiant Madrasa 2022 (93–94 Punkte): gereift im französischen Eichenfass, komplex und kraftvoll;
Savalan Canyon Red Reserve 2018 (93 Punkte): eine tiefe Bordeaux-Cuvée mit feinen Kräuternoten;
F.A. Valley Colorino Pet Nat 2024 (93+ Punkte): naturbelassen prickelnd, frisch und gastronomisch vielseitig.
Der Artikel in Forbes ist weit mehr als eine journalistische Weinkritik – er ist eine Anerkennung der wachsenden Weinidentität Aserbaidschans. Mullen zieht einen Vergleich mit Clos Apalta in Chile, das durch die Integration der Rebsorte Carménère in Bordeaux-Cuvées eine unverwechselbare regionale Handschrift entwickelte. Genauso könne auch Aserbaidschan seinen Weincharakter um die Sorte Madrasa und andere einheimische Schätze formen.
Aserbaidschanischer Wein ist mehr als ein Getränk. Er erzählt Geschichten über das Land, das Klima, die Menschen – und über das Streben nach Authentizität.