“In Aserbaidschan habe ich mehr Freiheit als in der Schweiz”

Aserbaidschan im Herzen

Ein fünfminütiges Telefongespräch mit Laurent Valette reicht aus, um seine Liebe zu seiner Wahlheimat zu verstehen. Der Genfer spricht begeistert von den Sandsteinhäusern der Hauptstadt, den atemberaubenden Landschaften und der Lebensqualität, die er dort vorgefunden hat: “Solange ich keine Nachricht von der Botschaft bekomme, die mich auffordert, das Land zu verlassen, bleibe ich hier”. Auch wenn gerade erst ein Friedensabkommen unterzeichnet wurde, zeigt die Nichteinhaltung früherer Waffenstillstände, dass die Lage weiterhin prekär ist.

Laurent Valette

Laurent Valette glaubt, dass “die Menschen in Europa das Gefühl verloren haben, sich gegenseitig zu helfen, während diese Werte in Aserbaidschan immer noch existieren”. Zudem schränkt das Land seiner Meinung nach die individuellen Freiheiten viel weniger ein. Zur Veranschaulichung führte er das Beispiel eines Grundstücks an, das er im französischen Jura besitzt. Um da mit einem Geländewagen hin zu fahren, benötige er eine Bewilligung der Behörden. “Hier kann ich überall hinfahren, ohne dass jemand etwas dazu sagt.” 

Wie erkennt man die Wahrheit?

Auf dem Facebook-Profil Valettes findet sich viele Beiträge, welche die aserbaidschanische Sichtweise unterstützten. Obwohl er sich der Mängel des Landes in Bezug auf die Menschenrechte bewusst ist, sagt Laurent Valette: “Ich glaube nicht, dass die Regierung uns anlügt. Täglich sehen wir Nachrichten über den Vormarsch der Armee im Fernsehen. Wissen wir danach genau, wie die Situation ist? Nein.”

Und was ist mit der Tatsache, dass die Regierung seit Beginn des Konflikts Webseiten wie YouTube und Facebook blockiert hat? “Es dient der Sicherheit, um zu verhindern, dass Menschen falsche Informationen sehen und verbreiten. Ich denke, es ist eine gute Sache”, sagt Valette.

Er bezieht sich auf ein Foto, das in den letzten Wochen in sozialen Netzwerken in Umlauf gebracht wurde. Es zeigte ein Auto, das auf einem Platz von einer Rakete zerstört wurde. “Die Armenier behaupten, dieses Bild sei in ihrem Land aufgenommen worden, aber wenn man es in seiner Gesamtheit betrachtet, erkennt man das Schaufenster eines aserbaidschanischen Ladens.”

Journalisten vor Ort und verschiedenen internationalen Beobachtern zufolge ist es derzeit schwierig, bezogen auf solche Ereignisse zwischen Wahrheit und Fälschung zu unterscheiden.

Für Laurent Valette kämpft Armenien um ein Territorium, das dem Land nicht zugehört und nie entsprechend anerkannt wurde. “Es ist unglaublich”, sagt er. “Aserbaidschan versucht nicht, in Armenien einzumarschieren, es will nur die Menschen zurückdrängen, die das Gebiet seit mehr als 30 Jahren besetzen”.

Ein persönliches und finanzielles Interesse?

Der Auslandschweizer hat in den sieben Jahren, die er in Baku lebt, eine Familie gegründet. Er ist mit einer aserbaidschanischen Frau verheiratet und hat eine fünfjährige Tochter. Er hat sich ein “grosses Haus” gebaut und geniesst eine sehr gute berufliche Situation. Er ist offizieller Vertriebspartner der Marke Rolex und hat eine eigene Uhrenmarke geschaffen – Einzelstücke nach Mass.

Valette bestreitet, aus persönlichen oder wirtschaftlichen Interessen, für das Land, das ihn beherbergt, Stellung zu beziehen. “Ein anderer Standpunkt hätte keine Konsequenzen”, sagt er. Er beabsichtigt auch, seine Firma so bald wie möglich in der Schweiz registrieren zu lassen, um dort Geschäfte machen zu können, da der Markt für Luxusuhren in Aserbaidschan klein ist. “Ich habe also auch kein wirtschaftliches Interesse”, sagt er.

Emilie Ridard

swissinfo.ch (mit Abkürzungen), 11. November 2020 

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