Die industrielle Entwicklung Aserbaidschans ist in hohem Masse den Beiträgen europäischer Unternehmen zu verdanken. Die Entwicklung der Bergbauindustrie im Russischen Reich im 19. und frühen 20. Jahrhundert ist untrennbar mit dem deutschen Unternehmen Siemens verbunden.
Die Brüder Siemens hinterliessen zwei Kupferhütten in der Region Gadabay, fortschrittliche Technologie, eine Telegrafenleitung, eine Eisenbahn, Strassen und Brücken.
Insgesamt gab es sieben Brücken, von denen einige bis heute erhalten sind. Über die Brücken verlief eine Schmalspurbahn, die dem Transport von Erz, Kupfer und Arbeitern diente. Heute existiert die Eisenbahn nicht mehr.
Am besten erhalten ist die sogenannte Siemensbrücke. Sie verfügt über ein einbogiges Gewölbe. Daneben gibt es eine Dreibogenbrücke, die von den Einheimischen „Alte Brücke“ genannt wird.
Unter diesen Bauwerken sticht eine Hochbrücke in der Nähe des Dorfes Düzyurd hervor. Dies ist eine einzigartige Struktur ihrer Art. Die Brücke hat sechs gewölbte Öffnungen und war der Standort der ersten Schmalspurbahn in Aserbaidschan. Das Bauwerk ist ein architektonisches Denkmal, weist zahlreiche originelle technische Lösungen auf und steht unter staatlichem Schutz. Mittlerweile sind die Gleise abgebaut, das Bauwerk selbst ist verfallen und man kann nur noch mit Vorsicht darauf laufen. Laut Angaben der Hausmeister ist das weiche Gefühl unter den Füssen auf der Brücke auf den dämpfenden Effekt zurückzuführen, den die Erbauer dadurch erzeugt haben, dass sie Stroh unter die Kiesschichten geschüttet haben. Dies war für den Betrieb der Eisenbahn notwendig.
Laut den Architekten ist die Siemensbrücke mit ihren sechs Bögen ein sehr stabiles Bauwerk, das mit Geschmack und deutscher Präzision gebaut wurde. Trotz ihrer Robustheit weist die Brücke eine elegante Optik auf, die dank der beim Bau verwendeten speziellen technischen Lösungen erreicht wurde. Diese Brücke gilt als seltenes Beispiel für Architektur, die trotz des Einflusses der Zeit und natürlicher Faktoren erhalten geblieben ist. Vor einigen Jahren wurde in Aserbaidschan ein Projekt zur Restaurierung eines kleinen Abschnitts der Schmalspurbahn von Düzyurd nach Galakend initiiert. Ziel des Projekts war die Entwicklung des Tourismussektors in der Region Gadabay. Ein wesentlicher Bestandteil davon ist das Erbe der Brüder Siemens, darunter die von ihnen gebauten Brücken.
Siemens wurde 1847 gegründet. Die Brüder Siemens hatten ein Gespür dafür, neue Möglichkeiten zu entdecken. Sie sahen solche Möglichkeiten im Kaukasus. Der erste der Siemens-Brüder, der in Baku ankam, war Walter. Das Unternehmen begann, kleine Ölfelder zu erwerben. Archivdokumenten zufolge verfügte das Unternehmen im Jahr 1869 über drei Bohrlöcher und im Jahr 1881 waren es bereits 270. Ausserdem wurde eine Ölraffinerie gebaut. Doch alles änderte sich, als es dem jüngeren Siemens gelang, den älteren Werner in den Kaukasus zu locken. Bei seinem ersten Besuch zeigte man Werner Siemens die Kupferminen von Gadabay. Nach der Reise ordnete er umgehend den Erwerb von Bergwerken und den Beginn des Baus einer Kupferhütte an.
Die danach eröffneten Kupferhütten Gadabay und Galakend waren im Russischen Reich beispiellos und übertrafen alle bestehenden Unternehmen hinsichtlich technischer Ausstattung, Produktionsorganisation und Qualität des Endprodukts. Im Jahr 1896 wurde das von Siemens hergestellte Kupfer auf der Allrussischen Industrie- und Kunstausstellung in Nischni Nowgorod als das beste ausgezeichnet und mit einer grossen Goldmedaille ausgezeichnet.
Die Galakend-Kupferhütte nahm im Juni 1883 ihren Betrieb auf und war hinsichtlich ihrer technischen Ausstattung konkurrenzlos. Ein Jahr später wurde eine Telegrafenleitung zum Werk verlegt und eine etwa 32 Kilometer lange Eisenbahn von Gadabay aus gebaut. Das Projekt einer Hochgebirgs-Schmalspurbahn wurde auf der Berliner Gewerbeausstellung 1879 vorgestellt und erregte grosses Aufsehen. Da die Eisenbahn, auf der 4 Lokomotiven und 33 Waggons verkehren sollten, durch schwieriges Gelände führte, war der Bau von Steinbrücken und anderen Kunstbauten notwendig.
Die Brüder Siemens brachten viele Innovationen – oder, wie wir heute sagen würden, Know-how – in ihre Unternehmen ein. So wurde für den Transport kleiner Erzmengen eine sechs Kilometer lange, von Pferden angetriebene Seilbahn gebaut. Seit 1902 wurden in den Minen von Gadabay neben manuellen auch elektrische Mittel eingesetzt und bei Explorationsarbeiten kam Diamantbohrungen zum Einsatz. Ein weiteres Know-how war die Nutzung von Erdöl in der Kupferverhüttung, wofür eine eigene Erdölpipeline gebaut wurde, die ebenfalls eine Sensation darstellte. Im Dorf Gadabay sowie in den Bergwerken und Fabriken von Siemens gab es elektrisches Licht, während selbst auf den Strassen der Hauptstadt des Russischen Reiches nur Gas- und Petroleumbeleuchtung verwendet wurde.
Siemens ist das Thema von allen Seiten angegangen. Kupferschmiede aus Lahidsch, einem für sein Volkshandwerk bekannten Dorf in der heutigen Region Ismayilli, wurden nach Gadabay eingeladen. Viele der von der Familie Siemens eingeladenen Meister blieben anschliessend in Gadabay und Werner Siemens brachte Beispiele ihrer kunstvollen Produkte nach Berlin und schenkte sie Museen. Noch heute schmücken Produkte aus Gadabay-Kupfer von Lahidsch-Meistern die Ausstellungen deutscher Museen.
Im Jahr 1900 entfielen auf Siemens-Unternehmen etwa 35 % der gesamten russischen und etwa 70 % der gesamten kaukasischen Kupferproduktion.
Politische Instabilitäten und revolutionäre Prozesse in den weiten Teilen des Russischen Reiches führten zu Beginn des 20. Jahrhunderts dazu, dass Siemens allmählich seine Aktivitäten zurückfuhr. Die Kupferhütten von Gadabay und Galakand waren jedoch bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges in Betrieb. Nach der Sowjetisierung Aserbaidschans versuchten die neuen Behörden, die Arbeit wieder aufzunehmen, doch es gelang nichts. Den Volkskommissaren gelang es nicht, den Ruhm der Siemens-Werke wiederzubeleben. Dazu musste man Siemens sein.