Entdecken Sie das Innere des Landes
Am Bakuer Flughafen angekommen, sollten Sie erst einmal der Versuchung widerstehen, gleich in die Stadt zu fahren, denn sonst wird es sehr schwer, sich wieder aus den herzlichen Armen der aserbaidschanischen Hauptstadt zu verabschieden.
Am besten wenden Sie sich zuerst dem Inneren des Landes zu und erkunden die alte Stadt Schäki, welche einst das Zentrum eines mächtigen Chanats war. Unterwegs werden Sie die unterschiedlichen klimatischen Bedingungen Aserbaidschans entdecken – Ihre Reise wird in den Wüsten von Abscheron beginnen und in den Bergwäldern enden, wo es reichlich Kastanien, Haselnüsse und Eichen gibt.
Die antike Stadt Schäki ist das Zentrum der Region Schäki-Zaqatala. Es liegt 300 Kilometer nordwestlich von Baku an den Südhängen des Kaukasus. Die Stadt war eine wichtige Station der Seidenstrasse und wurde viele Jahrhunderte lang von Handelskarawanen passiert. Kaufleute und Reisende erwarben hier Seide und goldbestickte Schals von faszinierender Schönheit und brachten diese in ferne Länder. Die Seide aus Schäki ist leicht, langlebig und durchsichtig wie ein Schleier und wurde zur Zeit der grossen Handelsroute nicht weniger geschätzt als chinesische Seide.
In der Stadt und ihrer Umgebung sind zahlreiche bedeutende Architektur-Denkmäler erhalten geblieben, darunter eine der ältesten Kirchen des untergegangen kaukasisch – albanischen Reiches1 aus dem 1. Jahrhundert. Doch das wichtigste erhaltene historische Bauwerk von Schäki ist der Sommerpalast der Chane aus dem 18. Jahrhundert.
Verwinkelte, gepflasterte Gassen führen zur Festungsmauer und dem Palast hinauf. Er wurde für Hussein Chan gebaut, einen Dichter und Förderer der Künste sowie des Handwerks. Dank der kundigen Architekten und Handwerker entstand ein grosses, kostbar verziertes Bauwerk. Die Wände sind mit wertvollen Wandmalereien bedeckt, und durch die prächtigen Glasfenster, die die Fassade des Gebäudes schmücken, dringt ein wunderbares Licht ins Innere. Die Glaser von Schäki pflegen bis heute die hohe Kunst der Herstellung solch einmaliger, nagelloser Fenster, Schäbäkä genannt.
In einer ehemaligen mittelalterlichen Karawansaraj wird man Ihnen ein ausgezeichnetes Mittagessen servieren. Probieren Sie unbedingt das einheimische Gericht „Piti“, eine Suppe aus Lammfleisch, die mit Kräutern, Kichererbsen und Gewürzen langsam auf kleiner Flamme im Tontopf gedünstet wird. Versäumen Sie nicht den Besuch des Konditoreiviertels. Nur hier kann man die berühmten Süssigkeiten aus Schäki probieren und kaufen, die „Honig-Pachlava“, eine zarte „Halva“ oder köstlich kandierte Nüsse. Sie werden nach traditionellen Rezepten gebacken und geröstet, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Walnüsse, Haselnüsse, Mandeln und Honig von der Bergwiesen geben den süssen Kreationen ihren ausgezeichneten Geschmack. Einige Konditoren bieten von der Klinge eines grossen Messers frische Süsswaren zum Probieren an. Wenn Ihnen also ein saftiges Stück „Halva“ oder „Pachlava“ gereicht wird, dürfen Sie es keinesfalls ablehnen, das würde der Gastgeber als Beleidigung verstehen.
Die Weintour
Die Region Schirvan mit ihren malerischen Bergen, grünen Tälern und zahlreichen Baudenkmälern zog schon immer Touristen an. In Schamachi verbrachte Alexandre Duma während seiner Reisen in den Südkaukasus einige Zeit. In dieser Region sammelte er zahlreiche orientalische Rezepte für sein berühmtes „Grosses Wörterbuch der Kochkunst“, auf das er nicht weniger stolz war als auf seinen Roman „Die drei Musketiere“.
Der grosse französische Romancier hatte in seiner Liebe zur Küche von Schamachi Recht: Sie ist in der Tat aussergewöhnlich reich und kennt allein 46 Arten „Plov“, 14 Sorten „Dolma“, 16 verschiedene Varianten „Kebab“ sowie eine Vielzahl anderer Leckereien. Dazu sollte man am besten Rot- oder Weisswein trinken, der in der Nachbarregion Ismayilli reift.
Ismayilli ist das grösste Weinanbaugebiet Aserbaidschans und liegt 1.400 Meter über dem Meeresspiegel. Das milde Klima dort oben ermöglicht es Rebsorten anzubauen, aus denen grossartige trockene und liebliche Weine gekeltert werden können. Noch zu Beginn dieses Jahrhunderts lag das Ismayilli-Weingut in Trümmern. Die neuen Besitzer, das Unternehmen Ismayilli Schärab, musste ganz von vorn beginnen und Weinstöcke der Sorten „Saperavi“ und „Cabernet Sauvignon“ aus Georgien importieren und die alte aserbaidschanische Sorte „Madräs“ wiederbeleben. Heute ist die Weinherstellung hier die modernste der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Die Produktion wurde mit neuesten französischen und italienischen Anlagen komplett modernisiert. Die Winzer bauen die Trauben ohne chemische Düngemittel an und bringen die Ernte von Hand ein.
Jedes Jahr produziert die Fabrik einige hunderttausend Flaschen Wein, die in fast jedem Geschäft Aserbaidschans zu finden sind. Dabei bekommt das Weingut nach und nach Züge eines Ferienortes. Gleich neben der Werkhalle wurden Ferienhäuser für Gäste errichtet sowie ein Schwimmbad, Tennisplätze, ein Restaurant und ein grosser Saal für Weinproben.
Den Wein genau dort zu trinken, wo er produziert wird – das ist der wichtigste Grundsatz des Weintourismus. Die reine Bergluft und herrliche Landschaft machen die Region ebenfalls zu einem lohnenswerten Reiseziel.
Hier oben in den Bergen liegt auch das Dorf Ivanovka, wo die Nachfahren der russischen Molokanen-Umsiedler2 leben sowie die Siedlung Lahidsch, die Teil eines Naturschutzgebietes und berühmt für ihre Handwerksmeister ist. Die Einwohner veranstalten viele Feste und kleine Handwerksmessen, welche von Urlaubern gern besucht werden. Sie alle kommen in der Absicht, Meisterstücke beeindrucken- der Handwerkskunst zu erwerben. Schon die Kaufleute der Seidenstrasse schätzten die hiesigen Erzeugnisse, die weit über den Kaukasus hinaus berühmt waren.
Die Haupthandelsstrasse in Lahidsch ist gesäumt von kleinen Läden und Werkstätten. Hier arbeiten Seite an Seite Kupferschmiede, Gerber, Schreiner, Töpfer, Schneider, Juweliere, Holzschnitzer, Steinmetze und Waffenmeister. Bei ihnen können Sie ein schönes Souvenir oder ein Kunstwerk zu einem erschwinglichen Preis kaufen.
„Erdöl-Therapie“
Etwa 100 Kilometer südlich von Schäki, im Zentrum Aserbaidschans, befindet sich das kleine Städtchen Naftalan, welches Sie unbedingt besuchen sollten. Dies ist der einzige Ort der Welt, wo Quellen mit heilendem Erdöl entdeckt wurden. Das naftalanische Erdöl ist nicht entzündlich, kann also nicht als Brennstoff verwendet werden, dient dafür aber als Heilmittel für viele Krankheiten.
Es wurde folgendermassen entdeckt: Im Jahre 1890 suchte der deutsche Ingenieur Jäger Erdöl im Gebiet der heutigen Stadt Naftalan. In Erwartung eines schnellen Profits pachtete er ein grosses Grundstück, heuerte Arbeiter an und liess sie dort bohren. Allerdings zeigten die ersten Proben, dass das Erdöl nicht brannte, da es keine Benzinanteile enthielt. Das hätte den Unternehmer fast in den Ruin getrieben. Er merkte jedoch bald, dass die Bewohner an warmen Tagen in die Erdölgruben eintauchten und sich bei diesem Bad äusserst wohlfühlten. Dadurch inspiriert eröffnete Jäger eine Fabrik zur Herstellung von „Naftalan-Salbe“. Sie heilte ausgezeichnet Wunden, Verbrennungen und Frostbeulen. Das neue Heilmittel aus Aserbaidschan erregte Aufsehen in Europa. Die ärztlich geprüften Salben verkauften sich als Wunderheilmittel für fast alle Krankheiten und die Rezeptur wurde streng gehütet.
Natürlich kann man nicht alle Krankheiten bekämpfen, indem man ein paar Stunden in Naftalan-Öl badet. Aber die Salben, Cremes und Lotionen auf Naftalan-Basis helfen bei vielen gesundheitlichen Problemen.
Heute werden in den Gesundheitszentren von Naftalan mit Hilfe von Erdöl-Therapien erfolgreich Hautkrankheiten, Störungen des Bewegungsapparates und weitere Krankheiten behandelt. In einem der örtlichen Sanatorien gibt es sogar ein Krücken-Museum. Kranke, die zuvor als hoffnungslose Fälle galten und dank Naftalan-Bädern wieder laufen konnten, liessen sie dort zurück.
Nachdem sich Wissenschaftler mit der Zusammensetzung der erdölähnlichen Substanz beschäftigt hatten, kamen sie zu dem Ergebnis, dass sich die heilenden Eigenschaften der Flüssigkeit vor allem aus dem darin enthaltenen naphthenischen Kohlenwasserstoff ergeben. Dieser ist die Grundlage von vielen biologisch aktiven Substanzen, Vitamin D, Sterole sowie Gallensäure. Er trägt zur Stimulation von adaptiven Funktionen des Organismus bei.
Zur Zeit der Umbrüche in Aserbaidschan Anfang der 1990er Jahre hatte Europa unerwartet die Führung in der Naftalan-Heilung übernommen. Dennoch verlor man in Aserbaidschan, wo sie seit Hunderten von Jahren praktiziert wird, nicht den Glauben an die einzigartige Wirksamkeit des heimischen Erdöls. In der Stadt wurden vier private Gesundheitszentren neu eröffnet und drei befinden sich im Bau. Sechs der alten Sanatorien sind stets ausgebucht, Naftalan ist auf dem Wege erneut ein internationales Kurzentrum zu werden!
Den Osten und den Westen zusammenführen
Wenn Sie Baku am Abend besuchen, werden Sie von dem warmen Leuchten unzähliger Lichter und dem Glanz der luxuriösen Schaufenster fasziniert sein. Die Hauptstadt Aserbaidschans ist so hell und kunstvoll beleuchtet, dass sie wie ein riesiges Juwel glänzt.
Nicht weniger eindrucksvoll sind die Paläste – die das Antlitz der Stadt prägen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Baku durch den Handel mit Erdöl immer reicher und lud die besten Architekten Europas ein, um Häuser nach europäischem Vorbild zu bauen. Das Ergebnis war eine einzigartige Symbiose zwischen Ost und West. Lediglich der orientalischem Charme dieser Gebäude erinnert daran, dass Sie sich am Kaspischen Meer befinden.
Die beste Aussicht auf die Stadt eröffnet sich aus der Höhe, zum Beispiel von der Aussichtsplattform des Radisson-Hotels, welches sich im Zentrum befindet. Im Restaurant kann man mit Blick über das Stadt-Panorama zu Abend essen. Beginnen Sie mit „Kutabi“, probieren Sie dann „Balik-Bozbasch“ (eine Fischsuppe) und lassen Sie noch etwas Platz für den „Plov“ – das wichtigste Gericht der aserbaidschanischen Küche.
Baku ist zur Heimat vieler Nationalitäten, Religionen und Kulturen geworden. Hier leben Russen und Kurden, Ukrainer und Lesgier, Inder und Juden, Georgier und Türken. ihnen allen ist es gelungen, Traditionen und Bräuche ihrer Völker zu bewahren, was die aserbaidschanische Hauptstadt auch für Ethnographen zu einer äusserst interessanten Stadt macht.
Das Zentrum von Baku ist Itschäri Schähär, die historische Innenstadt. Eine doppelte Festungsmauer und ein Graben umgaben Baku im 12. Jahrhundert. Der Bau von Abwehranlagen begann noch zur Zeit der Herrschaft des Schahs Manutschöhr 1. aus der Yazididen-Dynastie. Das Betreten der Stadt war durch mehrere Tore möglich, die wichtigsten waren die Schamachi-Tore, deren Grösse auch heute noch überwältigend ist. Eng aneinander gebaute Häuser bildeten ein Labyrinth aus engen Gassen und Sackgassen, und die Behausungen der Bewohner waren geschlossene Höfe mit niedrigen Häusern und tiefen Veranden.
Solch eine Aufteilung war vorteilhaft: Fremde konnten sich im Gewirr der Gassen leicht verirren, und die Enge schützte die Bewohner vor der Sommerhitze und den kalten Winterstürmen. Eines der berühmtesten und gleichzeitig geheimnisvollsten Denkmäler des alten Baku ist Qiz-Qalasi – der Jungfrauenturm. Das Wahrzeichen der Stadt wurde auf einem Felsvorsprung erbaut, der in das Kaspische Meer ragt und bietet einen schönen Ausblick auf die Bakuer Bucht. Wissenschaftler streiten bis heute über das tatsächliche Alter des Bauwerkes. Während die einen die These vertreten, der Turm sei nicht später als im 10. Jahrhundert errichtet worden, sind andere der Meinung, und diese Theorie ist wahrscheinlicher, dass er in mehreren Etappen über mehrere Jahrhunderte erbaut worden ist.
Das Fundament des Bauwerks wird auf das 5. oder 6. Jahrhundert datiert und der Turm selbst auf das 12. Jahrhundert. Über seine Funktion wird ebenfalls heftig diskutiert. Einige Forscher meinen, dass er ursprünglich als Feuertempel gedient habe, seine Höhe rühre daher, dass die Zoroastrier eine äussert exotische Beisetzungsart praktizierten: Der Leichnam wurde nicht in der Erde vergraben, sondern den wilden Vögeln zum Frasse dargeboten. Im 12. Jahrhundert war der Jungfrauenturm eine der mächtigsten Festungen der Schirvanschahs, im 18. und 19. Jahrhundert diente er dann als Leuchtturm. Bei Ausgrabungen in der Nähe entdeckten Archäologen die Ruinen einer alten christlichen Basilika, deren Alter auf 1.700 bis 1.800 Jahre geschätzt wird. Man nimmt an, dass sie auf dem Platz errichtet wurde, auf dem – einer der zahlreichen Legenden nach – der Heilige Bartholomäus hingerichtet worden sein soll, einer der zwölf Apostel Christi, der im 1. Jahrhundert das Christentum auch im Kaukasus predigte.
Das Herz der alten Stadt
Einen grossen Teil der Festung nimmt der Palast der Herrscher von Schirvan ein. Der im 15. Jahrhundert erbaute Komplex, bestehend aus dem Divan-Chana, der Grabstätte der Schirvanschahs, der Moschee mit Minarett und dem Badehaus, ist drei Stockwerke hoch und schon weit vom Meer aus zu sehen.
Sein Bau begann, nachdem die Hauptstadt Schirvans von Schemacha nach Baku verlegt worden war. Die Legende besagt, dass der Platz für die Errichtung des Palastes sehr sorgfältig ausgesucht wurde: In verschiedenen Teilen der Stadt wurden Fleischstücke aufgehängt und dort, wo sie zuletzt verfaulten, wurde der Palast gebaut.
Das älteste Gebäude des Komplexes ist der zweistöckige Palast selbst, welcher die Spitze des Hügels einnimmt. Auf jeder Etage befinden sich 25 Räume. Den ersten Stock bewohnte die Dienerschaft, und hier wurden die Nahrungsmittelvorräte gelagert. Im oberen Geschoss schliefen der Schah und sein Gefolge.
Neben dem Divan-Chana, in dem der Hof Gericht hielt und Beratungen anberaumte, liegt die Grabstätte. Ihr Inneres ist mit wunderschönen Ornamenten ausgestattet und ein Beispiel für die präzise Arbeit der besten Architekten des mittelalterlichen Reiches. Unter dem Boden der Beerdigungshalle fanden Archäologen eine Kammer mit 14 Gräbern der Herrscherfamilien von Schirvan.
Architektonisch und historisch nicht weniger interessant ist die Schahmoschee, die Anfang des 15. Jahrhunderts errichtet wurde. Die Moschee besticht durch ihren schlichten architektonischen Stils, die klaren Proportionen ohne starke Verzierungen und das markante 22 Meter hohe Minarett, welches von einem auffälligen Gesims gekrönt wird. Natürlich kann man sich den Orient nicht ohne seine traditionellen Bäder vorstellen. Der Palast besitzt ein äusserlich bescheiden ausgestattetes Badehaus, aber wie man sagt: Beurteile ein Buch nicht nach seinem Einband. In Baku wurde schon immer mehr Wert auf passende Proportionen der Innenräume und auf gute technische Lösungen für umfassende Baukomplexe gelegt als auf das blosse Aussehen. Im Badehaus des Palastes befanden sich ein grosser Baderaum mit Bassin und weitere Räume für die verschiedenen Prozeduren der Badekultur. Das kristallklare Wasser wurde aus einem nahegelegenen artesischen Brunnen gebracht. Zum sich tief unter der Erde befindenden Wasserreservoir war ein Lüftungsschacht errichtet worden. Ein verzweigtes System von wärmeleitenden Kanälen erwärmte die Liegen und die Wände auf natürliche Weise.
Im Jahre 1500, während der Besetzung Bakus durch die safawidischen Truppen, wurde der Palast ausgeraubt. Viele Schätze wurden als Trophäen nach Täbriz gebracht. Sie befinden sich heute in den Museen von Russland, Frankreich, der Türkei, Iran, Grossbritannien und den USA. Alte Folianten aus der Palastbibliothek werden in den Bibliotheken des Vatikans, von Teheran, Moskau und St. Petersburg aufbewahrt.
Hinter den Festungsmauern des 12. Jahrhunderts liegt die neue Stadt, die während der rasanten Entwicklung der Ölindustrie Ende des 19. Jahrhunderts entstand. Damals befriedigte Aserbaidschan die Hälfte der weltweiten Nachfrage nach Öl, und die reichen Öl-Magnaten holten die besten europäischen Architekten ins Land, um die Nachfrage nach modernem Wohnraum und öffentlichen Gebäuden zu befriedigen.
Mit dem Ölboom erblühte auch das kulturelle Leben: Theater eröffneten, Sänger und Musiker aus Europa traten auf. Man sagt, dass ein reicher Mann das Opernhaus wegen einer Wette gebaut hätte. Eine Primadonna aus Italien kam nach Baku und wunderte sich sehr, dass die Stadt kein eigenes Theater hatte. Sie trat zwar auf, hielt einen weiteren Besuch in Baku hingegen für unwahrscheinlich, weil es kein Theater und somit keinen Ort für den Gesang gäbe. Daraufhin wettete der Mann mit ihr, dass Baku in nur einem Jahr sein eigenes Opernhaus haben würde. Und er hielt Wort: Das Theater wurde gebaut.
Wer sich für Herkunft und Identität des aserbaidschanischen Volkes interessiert, sollte eines der zahlreichen Museen Bakus besuchen, in denen man tief in die Geschichte eintauchen kann. Die Ausstellungen widmen sich der Literatur, Musikkultur, der Teppichwebkunst und dem Theater Aserbaidschans. Besonders originell ist das Museum des Miniaturbuchs.
Die Aserbaidschaner sind seit jeher gastfreundlich, hilfsbereit, friedfertig, geduldig und haben Respekt vor dem Alter. Dies können Sie am besten direkt erleben, wenn Sie Baku besuchen, über die schönen Strassen flanieren und sich einfach mit den Leuten unterhalten. Man sagt, dass jeder, der einmal in Baku war, mit Sicherheit wieder zurückkehren wird. Das wichtigste Argument für eine Wiederkehr werden die positiven Eindrücke und Emotionen sein, mit denen Sie von dort zurückreisen werden.
Geschichte zum Anfassen
Kenner der traditionellen aserbaidschanischen Teppiche geniessen die Ausflüge zu den Teppichmanufakturen, wo sie eine Auswahl qualitativ hochwertiger, handgewebter Ware entdecken können. Die schönen Teppiche, die aserbaidschanische Handwerkerinnen herstellen, schmücken die Eremitage, den Louvre, das Museum des Topqapi-Palastes in Istanbul, das Victoria & Albert Museum in London und das Textilmuseum in Washington.
Weshalb gehen die Aserbaidschaner so liebevoll mit ihren Teppichen um? Um das zu verstehen, muss man in das Open-Air-Museum des Bakuer Vorortes Gala fahren. Hier entdeckten Archäologen Überreste einer alten Festungssiedlung, an deren Stelle heute ein historisch-ethnographischer Park mit hunderten Exponaten aus verschiedenen Epochen und Regionen errichtet wurde. Die Ausstellung umfasst einfache Werkzeuge aus der Steinzeit, mit Hieroglyphen beschriftete Steinplatten ebenso wie luxuriöse Kutschen des 19. Jahrhunderts. In Gala kann man die Geschichte buchstäblich mit Händen fassen: Gäste können sich in traditionellem Handwerk ausprobieren oder an altertümlichen Festen und Ritualen teilnehmen. Für die Bakuer ist das Freiluftmuseum ein fabelhaftes Unterhaltungszentrum, das sie gern mit der ganzen Familie besuchen.
Im restaurierten Haus des Handwerkers befinden sich alte Teppiche auf dem Boden, weitere auf dem Dästärchan, einem Podest vor der Feuerstelle. Hier steht auch ein hölzerner Webstuhl; Weberinnen der „Azär-Ilmä“ verwenden heute noch ähnliche Geräte. Im Haus gibt es keine Möbel, denn die Teppiche dienten den Menschen als Bett, Tisch und Arbeitsplatz zugleich.
Solch eine schlichte Einrichtung stammt noch aus der Zeit nomadisch lebenden Turkvölker, die als Vorfahren der Aserbaidschaner angesehen werden, die die grenzenlosen Steppen als ihr einzig wahres Zuhause ansahen und sich nicht von Wänden einschliessen lassen wollten. Später, als sie sich zwischen dem Kaukasus und dem Kaspischen Meer ansiedelten, behielten sie zwar ihre Liebe zur Viehzucht bei, parallel entdeckten sie jedoch ihr aussergewöhnliches Geschick für feines Handwerk und den Handel. Auch deshalb befanden sich die verschiedenen Chanate, die auf dem Gebiet des heutigen Aserbaidschans gegründet wurden, am Kreuzweg wichtiger Karawanenrouten.
Vom Museum aus blickt man auf das heutige Gala mit seinen robusten zweistöckigen Häusern. Es sieht so aus, als wäre die Hälfte der Gebäude aus demselben Stein gebaut worden, wie die Exponate im Museum. Auf den engen Straßen laufen zottelige Schafe, Kühe sind zu hören und in den Höfen bellen die Hunde. Man könnte meinen, die Zeit wäre hier vor 200 Jahren stehen geblieben. Doch ein Wald aus Bohrtürmen, der direkt hinter den Häusern beginnt und sich von den umliegenden Hügeln bis zum Horizont erstreckt, bringt den Besucher rasch zurück ins 21. Jahrhundert.
Das Feuer anbeten
In der Nähe von Baku, im Dorf Surachani, befindet sich eine der berühmtesten Sehenswürdigkeiten von Aserbaidschan – der Tempel der Feueranbeters Atäschgah. Früher brannten hier Erdgas-Quellen, die sich ihren Weg an die Oberfläche gebahnt hatten. „Das Land des Feuers“ wurde zu einem Ort der Anbetung für pilgernde Indo-Zoroastrier. Hier bauten sie ihren Tempel mit Altar, Kapellen und Zellen. Der gesamte Komplex ist erhalten geblieben; in zahlreichen Klausen wurde die asketische Einrichtung wiederhergestellt und von Zeit zu Zeit wird auf den Tempeltürmen und auf dem Altar ein Feuer entzündet.
Tipps für Gourmets
Aserbaidschan ist ein Paradies für Feinschmecker und Liebhaber kaukasischer und orientalischer Küche. Schaschlik, Lülä-Kabab, Qutab, Süssigkeiten und Eingemachtes – all dies kann der hungrige Reisende in jedem Restaurant oder Cafe bestellen. Aber jede Region bietet Ihnen noch etwas Eigenes und Typisches an: in Schäki die Suppe „Düschbärä“ mit kleinen Teigtaschen gefüllt mit Lammfleisch und Rührei mit Honig, in Zaqatala Plov mit Huhn, in Gändschä Schärbät und den Rahm „Qaymaq“. Eine Vielzahl einheimischer Gerichte wird nicht exportiert, sondern kann nur in ihrer Heimat probiert werden. Kartoffeln und Äpfel gefüllt mit Lamm, Störfleisch mit Tomaten, schwarzen Oliven und „Abscheron“-Sauce, Kartoffel-„Dolma“ mit Fleisch oder „Chasch“ aus Hammelfleisch sind traditionelle, aserbaidschanische Gerichte, die nirgends sonst zu finden sind.
Doch bedenken Sie, dass die regionale Küche, trotz des faszinierenden Geschmacks und der feinen Gewürze, schwer im Magen liegen kann, besonders wenn man nicht an grosse Mengen Lammfleisch gewöhnt ist. Bevor Sie die nächste Einladung zum Mittag- oder Abendessen annehmen, sollten Sie also berücksichtigen, wie viel Essen Sie wirklich vertragen.
Auch Vegetarier werden auf ihre Kosten kommen. Im „Obstgarten Aserbaidschan“ wachsen Früchte und Beeren des Ostens wie des Südens: zinnoberrote Granatäpfel und karminrote Johannisbeeren, orangenfarbige Pfirsiche, bernsteingelbe Churma („Kaki“), knallrote Süsskirschen, blauviolette Pflaumen und türkisfarbene Feigen, „Feychoa“ und Oliven, Haselnüsse und Walnüsse, Honig- und Wassermelonen, saftige Äpfel und Trauben.
Zahlen und Fakten
Auf dem Territorium Aserbaidschans befinden sich 65 Bauwerke und architektonische Komplexe von weltweiter Bedeutung (Gobustan und die Altstadt von Baku sind Teil des UNESCO-Weltkulturerbes), 15 Natur- und Denkmalschutzgebiete, 20 Wildreservate und Jagdreviere.
Mehr als die Hälfte der Gesamtfläche des Landes (47.000 von insgesamt 86.600 km²) bergen Gas- und Ölvorkommen. Expertenschätzungen gehen von unterirdischen Ölvorkommen von fast drei Milliarden Tonnen aus.
In der Hauptstadt Baku finden sich viele aussergewöhnliche Museen, darunter:
– das Museum für Teppiche und angewandte Kunst mit der weltweit grössten Teppichsammlung;
– das staatliche Museum für Musikkultur mit mehr als 35.000 Exponaten, darunter das älteste Instrument der Welt – die Steintrommel „Gavaldasch“;
– das weltweit einmalige Museum für Miniaturbücher, das mehr als 5.000 Miniaturbücher in verschiedenen Sprachen beherbergt, von denen einige nur unter dem Mikroskop zu lesen sind;
– das Öl-Museum in Baku, welches besonders beliebt ist bei Spezialisten der internationalen Ölgesellschaften.
Faig QURBATOV
1 – Ein antikes Königreich im Kaukasus, hauptsächlich auf dem Gebiet des heutigen Aserbaidschans. Nicht zu verwechseln mit dem heutigen Staat Albanien.
2 – Eine russische Glaubensgemeinschaft außerhalb der Russisch-Orthodoxen Kirche, die „Milchtrinker“ genannt werden, weil sie an den Fastentagen Milch trinken. Sie wurden ab den 1830er Jahren vom zaristischen Russland aufgrund ihrer „religiösen Abtrünnigkeit“ in den Kaukasus umgesiedelt.