Unsere Landsmännin aus Frankreich, die mehrfach international ausgezeichnete Fotografin Maya Baghirova, hat in einem Gespräch mit Trend Life ihre Eindrücke und Fotos vom Besuch des Konzentrationslagers Auschwitz (heute die polnische Stadt Oświęcim) geteilt.
Auschwitz war das grösste NS-Vernichtungslager während der Zeit des „Dritten Reichs“. Mindestens 1,1 Millionen Menschen wurden dort ermordet, davon rund eine Million jüdischer Herkunft. Damit wurde der Ort zu einem der zentralen Symbole des Holocaust. Das Lager wurde am 27. Januar 1945 von der Roten Armee befreit. Die Vereinten Nationen erklärten dieses Datum zum Internationalen Holocaust-Gedenktag. Auf dem Gelände des Lagers wurde 1947 ein Museum gegründet, das heute zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört und im Nationalen Museumsregister Polens verzeichnet ist.
„Ich hatte immer Angst, solche Orte wie Auschwitz zu besuchen. Ich bin ein sehr sensibler und sentimentaler Mensch. Alles, was mit Schmerz verbunden ist, gräbt sich tief in mein Gedächtnis ein und bleibt dort. Ich wusste, dass, wenn ich diesen Ort einmal mit eigenen Augen sehe, er mich nicht mehr loslassen wird. Er würde in mir weiterleben – in Gedanken, im Körper, in Bildern, die sich nicht mehr auslöschen lassen.“
Der talentierte Pianist Eldaniz Alakbarzade schlug vor, nach Krakau zu fahren und von dort aus Auschwitz zu besuchen. Er sagte: „Dann kannst du dort auch fotografieren.“ Ich war mir nicht sicher, ob ich das wirklich wollte. Ob ich bereit war, diesen Schmerz zu spüren. Aber ich sagte zu. Es schien mir wichtig, nicht davonzulaufen.
Als wir in Auschwitz ankamen, war das Erste, was ich fühlte, weder Kälte noch Angst. Es war die Luft – sie war schwer, als würde sie das Gewicht der Geschichte tragen. Der gesamte Raum war von einer Stille erfüllt, in der man Schreie zu hören glaubte. Die Wände schienen Erinnerungen zu bewahren. In den Vitrinen lag Schuhwerk, als stumme Zeugen derer, die nie zurückkehren werden. Brillen, Haare, Koffer – all das wirkte wie Beweismaterial eines Verbrechens, das niemals vergessen werden darf“, so Baghirova.
Sie betonte, dass sie das Geschehene nicht einfach als Zuschauerin fotografieren konnte:
„Das ist für mich kein „Thema“ – es ist Teil meiner Geschichte. Mit meiner Familie lebten wir drei Jahre in Israel, in Be’er Scheva. Meine Mutter liebte diese Stadt sehr. Sie erinnert sich bis heute daran, wie ein Mann jeden Tag an derselben Stelle stand und die Melodie aus ‚Schindlers Liste‘ spielte. Für sie wurde dieser Klang ein Teil der Stadt – ein leises Erinnern, das mit uns lebt, durch die Zeit, durch Musik, durch Menschen und Strassen. Antisemitismus klingt heute anders – durch „Witze“, durch schiefe Blicke, durch halblaut gesagte Worte…
Meine Fotos aus Auschwitz sind keine blossen Dokumentationen. Es ist mein Weg, das Erlebte zu verarbeiten, zu verstehen und zu bewahren. Ich wollte keine „schönen“ Aufnahmen machen. Ich wollte ehrlich sein. Ich wollte sehen, fühlen und vermitteln. Für mich geht es nicht nur um Geschichte. Es geht um unsere Gegenwart. Um das Erinnern, das so wichtig ist. Um die Tatsache, dass Hass immer noch existiert. Und darum, wie Schmerz eine Stimme bekommen kann. Diese Fotos habe ich denjenigen gewidmet, die ihre Geschichte nicht mehr erzählen konnten. Denjenigen, deren Namen aus den Listen verschwunden sind. Denjenigen, die die Welt ein letztes Mal durch die Gitter der Lager gesehen haben.
Und wenn wir am 9. Mai den Sieg über den Nationalsozialismus feiern, dann bedeutet für mich der wahre Sieg: der Tag, an dem Hass keinen Platz mehr in dieser Welt hat. Der Tag, an dem man einfach Mensch sein kann – Jude, Muslim, Christ, Frau, Mann – ohne Angst. Ohne seinen Namen, seinen Glauben, seinen Akzent oder sein Gesicht verbergen zu müssen. Wenn Erinnerung nicht nur ein Schatten der Vergangenheit ist, sondern ein Schutz. Ein Fundament für eine Zukunft, in der es Platz für alle gibt“, sagte Maya Baghirova.