SPRICHT MAN HEUTE VON „ASERBAIDSCHAN“ WERDEN DAMIT VORDERGRÜNDIG „BAKU“ UND „ERDÖL“ ASSOZIIERT. DABEI BIRGT DAS LAND VIEL MEHR ENTDECKENSWERTES UND STEHT – NICHT NUR IM BEREICH DER KULTURGESCHICHTLICHEN FORSCHUNGEN – UNVERDIENTERMASSEN ETWAS IM SCHATTEN DER BEIDEN NACHBARN GEORGIEN UND ARMENIEN. DABEI HABEN GERADE DEUTSCHE WISSENSCHAFTLER EINEN BESONDEREN BEITRAG ZUR ERKUNDUNG DER GESAMTEN SÜDKAUKASISCHEN REGION GELEISTET.1 NAMEN WIE ADAM OLEARIUS (UM 1600 -1671) UND JOHANN ANTON GÜLDENSTÄDT (1745 -1781) STEHEN NUR STELLVERTRETEND FÜR DIE REISENDEN UND FORSCHER, DIE KAUKASIEN BESCHRIEBEN. ZU DEN BEKANNTESTEN FORSCHERN, DIE IN SÜDOSTKAUKASIEN GRABUNGEN DURCHFÜHRTEN, DÜRFTEN DIE SCHÜLER VON RUDOLF VIRCHOW (1821-1902) GEHÖREN, DER 1888 SELBST KAUKASIEN BEREIST HATTE, UND DEN GRUNDSTEIN FÜR DIE KAUKASISCHE SAMMLUNG DER BERLINER STAATLICHEN MUSEEN PREUSSISCHER KULTURBESITZ LEGTE.
Durch die in den letzten Jahren durchgeführten archäologischen Grabungen im heutigen Gebiet Gäncä2 wurden auch die Arbeiten eines Mannes dem Vergessen entrissen, der an der Wiege der aserbaidschanischen Archäologie stand und vor dem Zweiten Weltkrieg die Winzersiedlung Helenendorf zu einem kleinen „Mekka der Archäologie im Kaukasus“ machte: Jakob Johannes/russifiziert: Ivanovič / Hummel (1893-1946).
Geboren am 25. Januar 1893 in Helenendorf (heute Göy Göl) wuchs Jakob Hummel3 in einerehemaligen „Kolonie“ deutscher Auswanderer, die 1817/18 überwiegend aus pietistischen Kreisen Baden-Württem bergs in den Kaukasus gekommen waren, auf. Seine Vorfahren gehörten zu den 118 „Stammfamilien“, welche die Kolonie gegründet hatten. Da die deutschen Kolonisten oftmals untereinander heirateten, waren nach über hundert Jahren fast alle Einwohner in Helenendorf miteinander verwandt. Um das Jahr 1920 lebten ungefähr 400 Nachfahren eines der ersten Siedler, Johann Heinrich Hummel (gest. 1835), in Helenendorf.4
Seine Schulbildung erhielt Jakob Hummel zunächst in Helenendorf, von 1910 bis 1914 studierte er an der naturkundlich-historischen Fakultät des Aleksandrov-Lehrerinstituts in Tiflis. Neben seiner Lehrertätigkeit an verschiedenen Schulen von Wladikavkaz nahm er ein Fernstudium an der Naturkundlich- Historischen Fakultät in Petersburg (dann Petrograd) auf, welches er 1918 beendete.
Sein Wirken als Lehrer in Helenendorf begann 1921, als Aserbaidschan bereits sowjetisiert war, aber die Gemeinde durch die Gründung einer Produktions-und Vertriebsgenossenschaft, in welche auch Güter der Familien Hummel eingingen, an die wirtschaftliche und kulturelle Blüte der Vorkriegsjahre anknüpfen konnte.
Um das Bildungssystem Deutschlands zu studieren, wurde Jakob Hummel 1923-24 vom Volkskommissariat für Bildung Aserbaidschans nach Preussen, Sachsen, Bayern, Hamburg und Bremen geschickt, wo er Vorlesungen in Pädagogik und Psychologie hörte und sich besonders für die Arbeit von Schullaboratorien interessierte. Nach Angaben von Mamed Džafarly5 habe er dort bei Verhandlungen mit dem Reichsbildungsministerium erreicht, dass der Status der Helenendorfer Schule aufgewertet wurde und Absolventen ohne Aufnahmeprüfung an deutschen Hochschulen aufgenommen werden konnten. Nachweisbar ist in diesem Zusammenhang zumindest eine Aktivierung der Bildungskontakte nach und aus Deutschland, woran aber nicht zuletzt auch die Helenendorfer Studierenden und Emigranten in Deutschland einen wichtigen Anteil hatten. Jakob Hummel als Direktor der Helenendorfer Oberschule6 hatte hier zweifellos eine wichtige Brücke geschlagen.
Sehr früh schon hatten sich bei Hummel heimatkundliche Interessen gezeigt, die nicht nur die Wahlseiner Studien- und Lehrfächer beeinflussten. Der populären Aufarbeitung von Heimatgeschichte, Publikationen in Zeitungen und Zeitschriften („Kaukasische Post“) folgten Ende der 1920er Jahre kleine Monographien („Der Deutsche in Transkaukasien“, 1927, „Das Heimatbüchlein der Deutschen in Transkaukasien“, 1928), die der Geschichte der „Schwabendörfer“ gewidmet waren.
Mit dem Beginn seiner Arbeit als Lehrer erweiterte sich sein Tätigkeitsfeld, und er widmete sich neben Geschichte und Ethnographie auch der Flora und Fauna des heimatlichen Kreises. Mit seiner Forscher- und Sammelleidenschaft verstand es Jakob Hummel – ab 1928 als Direktor der Helenendorfer Sekundarschule –, Schüler und Kollegen zu begeistern. Als erstes Ergebnis seiner Anstrengungen um eine Erforschung des Gebietes Gäncä konnte 1927 das Heimatkundliche Museum eröffnet werden. Es beeindruckte nicht nur durch seine Sammlungen7, sondern wurde im Sowjetmassstab als vorbildlich eingestuft und sollte schliesslich zum ersten Zentrum archäologischer Forschungen Aserbaidschans ausserhalb von Baku werden.
Liest man die Beschreibung der Museumsbestände aus dem Jahr 19298 ist man auch heute noch beeindruckt. Es ist nicht nur die Vielfalt der Exponate, die ohne Geldmittel beschafft wurden, sondern auch das Anliegen, welches mit dem Museum verbunden war: „Es stellt sich die Aufgabe – die Kenntnis der Heimat zu vertiefen, dem gesamten Unterricht in der Arbeitsschule Klarheit, Wahrheit, Wärme und Leben zu sichern und eine im Heimatboden verwurzelte Bildung zu ermöglichen […]. Ganz falsch ist die Vorstellung, dass man schon in eine Heimat hineingeboren werde. Zur Heimat wird der Geburts- oder auch einfach Wohnort erst dann, wenn man sich in ihn hinein gelebt hat, wenn man mit dem Boden und was daraus entsprossen ist – mit Natur, Volk und Kultur – innerlichverwachsen ist.“
Für Jakob Hummel bedeutete das nach jahrtausendealten Spuren von Tieren, Pflanzen und menschlichen Kulturen zu suchen und „charakteristische“, „typische“ Objekte auszustellen, die ein „lebendiges Bild der Eigenart, des Lebens und Schaffens der wichtigsten transkaukasischen Volksstämme“ zeigen sollten.
So war Abteilung I. „Vorgeschichtlichen Tieren und Pflanzen“ gewidmet. Ablagerungen, die im Steinbruch, beim Brunnenbau oder bei Feldarbeiten gefunden worden waren, wurden hier zusammen mit Karten, Tabellen und Lichtbildern (!) gezeigt.
In der Abteilung II. fanden sich Exponaten mit dem Thema „Der vorgeschichtliche Mensch“. Hier wurde lt. Katalog an die Grabungen von Emil Rössler (Gegenstände gingen ein in die Bestände des Hamburger Museums) und Rosendorf (Sammlungen der Museen von Moskau und Petersburg) erinnert, die in der Umgebung von Helenendorf fündig geworden waren. Die Darstellungen der Eiszeit, Stein-, Bronze- und Eisenzeit wurden mit Exponaten gestaltet. Neben Steinhämmern und Steinperlen fanden sich u.a. zehn Tongefässe mit Zeichnungen und Bronzeschmuck, sowie Gefässe aus der Bronzezeit und eine Sammlung ausgegrabener Münzen Abteilung III. war der Naturkunde gewidmet und enthielt die zu jener Zeit „klassischen Sammlungen“: Mineralien, Bodenarten, Herbarien, eine zoologische Sammlung und eine Mappe mit photographischen Aufnahmen „Schönheiten der Natur“.
Abteilung IV. trug die Bezeichnung „Völkerkunde“ und stellte die Entwicklung der schwäbischen Gemeinde in einem multiethnischen Umfeld dar: „Durch Vergleiche der Kultur der Deutschen mit der der einheimischen Völker – der Turkotataren, Armenier und Georgier – wächst das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu einer grossen Völkerfamilie. Die Museumsgegenstände und anderes Material zeugen von gegenseitiger Beeinflussung, Nachahmung, Hemmung, und der Besucher […] bekommt die volle Überzeugung der Notwendigkeit eines harmonischen Zusammenlebens, Zusammenwirkens, einer friedlichen Gesamtentwicklung.“ Eine gesonderte Abteilung war der „Volkskunde der Schwaben in Transkaukasien“ gewidmet. Von der Geschichte der Einwanderung, der Bau-, Verwaltungs-, Kirchen- und Schulgeschichte bis zur „Darstellung der Geschicke und Taten einzelner Männer und Frauen“, Zimmereinrichtungen, Volkstrachten, Kunsthandwerk, Sammlungen von Musikalia, Brauch- und Zauberregeln, Medizingerät und einer Bibliothek mit Beständen in der Mundart fanden sich Zeugen einer über 100jährigen Geschichte, die innerhalb eines Jahres mehr als 2.000 Gäste besichtigt hatten.
Beginnend mit dem Jahr 1930 konzentrierte sich die Erkundungsarbeit von Jakob Hummel zunehmend auf Spuren früher Kulturen auf dem Gebiet Aserbaidschans. Bald waren archäologische Grabungen nicht nur Bestandteil des Geschichtsunterrichts in der Schule, sondern es kamen die ersten Studenten und Archäologen, um sich mit den Arbeiten bekannt zu machen. In der Erinnerung des Sohnes heisst es: „Nach den archäologischen Ausgrabungen, die in den Sommerferien stattfanden, bearbeitete er im Verlauf des Jahres nach dem Schulunterricht bis spät in die Nacht die Funde, schrieb Bücher. Er gönnte sich keinen Urlaub, keine Entspannung, als ob er spürte, dass ihm nur wenig Zeit geblieben war.“9 – Die Zeichen der Zeit gingen schliesslich auch an Helenendorf nicht vorüber.
In den Jahren 1922 bis 1927 hatte sich die Winzergenossenschaft „Konkordija“ zum prosperierendsten Unternehmen im Wein- und Spirituosensektor Südkaukasiens entwickelt. Allein 1924/25 wurden 1.350.397 Eimer Wein umgeschlagen. Das Handelsnetz umfasste 183 Filialen in der gesamten UdSSR und reichte von Kiew über Petersburg und Moskau bis nach Taschkent und Novosibirsk. Zudem existierte eine Vielzahl von Handwerkerbetrieben in der Stadt und das Spirituosengeschäft wurde in und um Helenendorf stetig weiter ausgebaut.
Trotz ständiger Geldknappheit erfüllte die Genossenschaft weiterhin wichtige soziale und kulturelle Funktionen, wie die Finanzierung der Schulen, Kindergärten, des Vereinslebens sowie sogar einer Taubstummenanstalt. Trotz oder gerade wegen der herausragenden Leistungen, die ohne kommunistische Führung zustande gekommen waren, erfolgte 1925 der erste grosse Schlag gegen die „Konkordija“. In der in Tbilisi erscheinenden Zeitung „Zarja Vostoka“ wurde eine Kampagne unter dem Titel „Hinter den Mauern der Konkordija“ eingeleitet. Die Vorwürfe lauteten: „Schutz von Kulakeneigentum unter dem Deckmantel einer Genossenschaft“, „Erziehung der Jugend im deutschen Geiste“. Der Verhaftung des Vorstandes 1925 folgte im August 1926 in Baku ein Prozess, der mit der Deportation der Angeklagten endete. Betroffen waren auch Verwandte von Jakob Hummel. Er selbst wurde 1927 in die Parteizentrale der KP in Gäncä einbestellt und verwarnt, er solle die Schule nicht länger gegenüber der kommunistischen Ideologie abschirmen.
Der nächste Schlag erfolgte mit der einsetzenden Kollektivierung 1929: Die zwangsweise Überführung der Winzergenossenschaften in Siedlungskolchosen führte ab 1929 zur Liquidierung der Eigenständigkeit der Kooperativen. Wiederum wurde die Leitung ausgetauscht, die sich gegen den Unsinn der „ideellen Kommunisten“ wandte, die nun den „praktischen Kommunismus der Kolonisten“ abschaffen wollte und sich gegen die damit verbundene Umstrukturierung des Winzerverbandes in einen Kolchos wandte. Die Folgen betrafen wiederum zahlreiche Vertreter der Familien Hummel: sie verloren ihre Arbeit und ihre Rechte als Bürger, als„Kulaken“ durften sie zudem kein Wahlrecht ausüben. Das Jahr 1930 brachte weitere tiefe Einschnitte in das Leben der ehemaligen Winzerkolonie. Mit der Ernennung zur Kreisstadt wurde die Siedlungsstruktur endgültig aufgebrochen. Das bedeutete nicht nur die Aufnahme von ca. 4.000 Personen (Beamte mit ihren Familien), sondern:a) Verdrängung der Deutschen aus führenden Ämtern (Verhaftungen und Verschickungen), b) Schaffung von Wohnraum durch Erhebung von unbezahlbaren Steuern bzw. zwangsweise Einquartierung und im günstigsten Fall, c) Rodung von Weinbergen zum Bau notwendiger Gebäude (ca. 20 Prozent Verluste).
Der Prozess der allmählichen Verdrängung der deutschen Bevölkerung setzte sich bis 1933 systematisch fort und nahm immer deutlicher politische Züge an. Der Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Wolga- und Kubangebiet folgten in der zweiten Hälfte der 1930er Umsiedler aus den Grenzgebieten Armeniens, während Verhaftungen und Prozesse (1926, 1930, 1933 und 1935), die ca. 10 Prozent aller deutschen Einwohner in den Kolonien betrafen, die deutsche Bevölkerung weiter dezimierten. Die Verbannung zahlreicher Familien (76 allein im März-April 1935, 600 aus Annenfeld und Helenendorf bis Ende 1935) führten 1934/35 zur systematischen Zerstörung der „Konkordija“, der in der Zeit des „Roten Terrors“ 1937/38 Erschiessungen vieler Helenendorfer – darunter auch Vertreter fast aller Hummel-Familien – folgten.
Auch im kirchlichen und schulischen Bereich waren die Repressalien einschneidend. Hatte es bereits seit den 1920er Jahren Verfolgungen deutscher Pastoren gegeben, setzte eine neue Verhaftungswelle im Dezember 1934 ein. Von 31 bisher ermittelten Pastoren wurden 15 verhaftet, verbannt oder ermordet. 1937 wurden die Kirchen als geistliche Zentren endgültig geschlossen, umgebaut oder zerstört. 1938 erfolgte eine gewaltsame Reorganisation des schulischen Ausbildungswesens in den Kolonien: Der Unterricht in allen Fächern wurde von der deutschen auf die russische Sprache umgestellt, Deutsch- und Geschichtslehrer wurden entlassen. Den massiven Druck musste Jakob Hummel bereits 1933 spüren als er wegen angeblicher Spionage für Deutschland von der Staatspolizei (OGPU)10 verhaftet wurde: „Nach sechsmonatiger Untersuchungshaft im Gefängnis von Baku, wo er seelisch und physisch gemartert wurde, wurde er mangels Beweisen als gebrochener Mann entlassen. Ab dieser Zeit mied er alle gesellschaftlichen Veranstaltungen und widmete sich nur noch der Wissenschaft.“ – berichtet sein Sohn.
Berücksichtigt man, welche schwierigen Zeiten in Helenendorf angebrochen waren und welchen Gefahren der Lehrer und Wissenschaftler täglich ausgesetzt war, wiegt die Leistung von Jakob Hummel doppelt:
In rund zehn Jahren hat er 150 Kurgane, darunter zwei Königsgräber, geöffnet und beschrieben. Fast 80 Abhandlungen wurden veröffentlich – darunter seine Monographie „Studien zur Archäologie“ (1940), welche als Lehrwerk an aserbaidschanischen Hochschulen Verwendung fand.11 Als er 1936 zum korrespondierenden Mitglied des Instituts für Kaukasologie der Aserbaidschanischen Filiale der Akademie der Wissenschaften der UdSSR berufen wurde, war Jakob Hummel bereits über die Grenzen hinaus bekannt. Bis heute wird mit seinem Namen die Entdekkung des Strahlengesetzes bei den Bestattungsritualen der Bronzezeit verbunden. Das Heimatkundliche Museum hatte sich zu einer Lehrund Sammelstätte entwickelt, von der aus Expeditionen über die Ortsgrenzen von Helenendorf hinaus in das Gebiet Gäncä (seit 1934 Kirovabad), Kedabeg, Annenfeld (Šamchor) und Karabach führten. Ein wichtiges Anliegen von Jakob Hummel war es dabei, die örtliche Bevölkerung über den Sinn seiner Grabungen umfassend aufzuklären und für die Wahrung des kulturellen Erbes der „Etiunen“ (so nannte er die Bevölkerung am Ende des 2. und Anfang des 1. Jahrtausend) zu werben. Eine Vielzahl von Vorträgen und Ausstellungen begleiteten seine Aktivitäten an den Orten der Ausgrabungen, zugleich zog er Besucher durch Sonderausstellungen in Helenendorf/Chanlar an. In Chankendi (dem damaligen Stepanakert) richtete er sogar ein weiteres Museum ein, über dessen Verbleib es allerdings keinerlei Informationen gibt. Viele seiner Forschungsergebnisse erschienen in der auflagenstärksten (Partei-) Zeitung „Bakinskiirabočij“. Regelmässig publizierte er in den „Izvestija“ der aserbaidschanischen Filiale der Akademie der Wissenschaften, einiges in der „Izvestija“ Georgiens und der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Seine letzten noch in Helenendorf verfassten Artikel erschienen hier 1948 als er bereits in der Verbannung verstorben war.
Zweifellos stand Jakob Hummel beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Zenit seines Schaffens. Musste er bereits seit Jahren seine wissenschaftlichen Kontakte ins Ausland und vor allem nach Deutschland einstellen, um sich und seine Familie nicht weiter zu gefährden, so wurden alle weiteren Pläne zunichte gemacht, als der Befehl kam, Helenendorf innerhalb weniger Tage zu verlassen. Auf Beschluss Nr. GKO-744ss vom 8. Oktober 1941 des Staatlichen Verteidigungskomitees der UdSSR„Über die Umsiedlung der Deutschen aus der Georgischen, Aserbaidschanischen und Armenischen SSR“ waren aus Georgien 23.580, aus Aserbaidschan 22.741 und aus Armenien 212 Personen „umzusiedeln“. Zuvor waren bereits 1.842 Personen als „antisowjetische Elemente“ erfasst, verhaftet und teilweise erschossen worden.12 Vom 15.-30. Oktober 1941 erfolgte über Baku und Krasnovodsk die Deportation nach Kasachstan.13 Wie Zeitzeugen berichten, nahm Jakob Hummel – trotz einer strengen Beschränkung des Gepäckseinen Koffer mit Büchern und letzte Funde mit auf den äusserst beschwerlichen Weg über das Kaspische Meer in das Gebiet Akmolinsk. Dort arbeitete er tagsüber als Lehrer in einem Steppendorf und nachts sass er über seinen Manuskripten, die für ihn lebenswichtig waren und doch nicht mehr veröffentlicht wurden. Kontakte zu Kollegen waren abgebrochen, Deutsche galten nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion grundsätzlich als Verräter und Faschisten. Die Angst blieb neben dem Hunger allgegenwärtig. Jakob Hummel verstarb schliesslich am 19. April 1946 nach schwerer Krankheit in seinem Verbannungsort Novyj-Koluton. Sein Name geriet immer mehr in Vergessenheit. Das Museum in seiner Heimatstadt wurde geschlossen, seine Bücher verschwanden im Archiv, die Exponate des Museums wurden ohne Nennung seines Namens auf andere Museen verteilt, ihre Spuren verlieren sich 1961.
Erst seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Wiedererrichtung der staatlichen Unabhängigkeit Aserbaidschans konnte die Suche nach deutschen Spuren in Aserbaidschan aufgenommen werden. Allmählich erinnert man sich wieder an den„ersten aserbaidschanischen Archäologen deutscher Abstammung“, der einstmals die Stadt Helenendorf/Chanlar – heute Göy Göl – dadurch in Enzyklopädien brachte, dass er hier Ausgrabungen durchführte, die weltbekannt wurden.
Prof. Dr. Eva-Maria AUCH Berlin
Literatur:
- Vgl. Auch, Eva-Maria:, Öl und Wein am Kaukasus. Deutsche Forschungsreisende, Kolonisten und Unternehmer im vorrevolutionären Aserbaidschan, Wiesbaden 2001; Dies.: Notizen zum Forscherleben Jacob Hummels: Lehrer, Archäologe, Museumsgründer in Helenendorf/ Göy Göl (Aserbaidschan). In: Archaeologia Circumpontika, H. 5 (2009), S. 10 -22.
- Knauss, Florian u.a.: Ein Perserbau in Azerbajdžan. Ausgrabung auf dem Ideal Tepe bei Karačamirli 2006, AMIT 38, 2006; Ders. u.a.:Ein Perserbau auf dem Ideal Tepe bei Karacamirli (Aserbaidschan), http://www.achemenet.com/document/2007.002- Knauss.pdf; Mehnert, Gundula: Exkurs: Deutsche Kolonisten in Šamkir, Xanlar und Irmašly, in: Knauß u. a., Ein Perserbau in Azerbajdžan. Ausgrabung auf dem Ideal Tepe bei Karačamirli 2006, AMIT 38, 2006, 321–323.
- Die biographischen Daten wurden der Autorin von seinem Sohn, Dr. Jakob Hummel, zur Verfügung gestellt, dem hiermit ausdrücklich zu danken ist; siehe auch: Hummel, Jakob: Jakob Hummel – das Schicksal eines deutschen Archäologen in der UdSSR. In: Volk auf dem Weg 1 (1993), S. 14. Weitere Ausführungen stützen sich auf eine Broschüre, die 1999 anlässlich des 180jährigen Jubiläums Helenendorfs von der Autorin zusammengestellt wurde und dem Wirken Jacob Hummels gewidmet ist.
- 1921-23 gelang es nur rd. 40 Personen nach Deutschland, in die USA, die Türkei, Persien auszureisen, die restlichen Personen waren fast alle dem Stalinschen Terror ausgesetzt, wurden verhaftet und nach Zentralasien deportiert oder erschossen.
- Džafarly, Mamed, Političeskij terror i sud’by azerbajdžanskich nemcev, Baku 1998, S. 210.
- Offiziell lautete die Bezeichnung „Deutsch-sowjetische Schule II. Stufe“. Seit 1919 bestand sie als 8klassige Schule mit Grund- und Oberstufe, mit dem Schuljahr 1927/28 wurde sie in eine 7klassige Schule mit einem landwirtschaftlichen Zweig umgebildet, in diesem Zusammenhang erfolgte die Ernennung von Jakob Hummel zum Direktor. In seiner Biographie wird gleichzeitig eine Lehrtätigkeit am „Technikum“ genannt, es kann sich hierbei jedoch gerade um diesen „landwirtschaftlichen Zweig“ der Arbeitsschule gehandelt haben.
- Eine eindrucksvolle Beschreibung der damaligen Bestände liegt uns vor: Hummel, Jacob; Das Heimatkundliche Museum zu Helenendorf in Aserbaidschan, Moskau 1929. Die Sammlungen des Museums wurden nach der Deportation der deutschen Bevölkerung 1941 zugunsten anderer Museen allmählich und 1961 endgültig aufgelöst. Seit Jahren bemüht sich der Kulturund Wissenschaftsverein „EuroKaukAsia e.V.“ unter Leitung der Autorin um eine Wiedereinrichtung.
- Hummel, Jacob: Das Heimatkundliche Museum zu Helenendorf in Aserbaidschan, Moskau 1929; die nachfolgenden Zitate sind der Broschüre entnommen.
- Hummel (1993), S.14.
- Glavnoe Političeskoe upravlenie/ Politische Hauptverwaltung, 1934 – 1946 NKWD /Narodnyj kommissariat vnutrennych del.
- Zur Entwicklung der aserbaidschanischen Archäologie siehe: Pogrebova, M.N.: Archeology of Arran province, http://www.cais-soas.com/CAIS/Geography/arran_archaeology.htm. Zugleich war J. Hummel Koautor eines Geschichtslehrbuches für die Klassen 8 und 9 (1939), sowie einer „Geschichte Aser- baidschans“ (1941).
- Eisfeld, Alfred/Herdt, Viktor (Hrsg.): Deportation, Sondersiedlung, Arbeitsarmee. Deutsche in der Sowjetunion 1941 bis 1956, Köln 1996, S. 104-106.
- Bleiben durften nur deutsche Frauen, die in nichtdeutsche Familien eingeheiratet hatten. Kinder und Jugendliche mit deutschem Vater und nichtdeutscher Mutter durften bis zum 16. Lebensjahr bei der Mutter bleiben und wurden danach deportiert. Mit dem Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 26. November 1948 wurde ihnen das Recht auf Rückkehr in ihre früheren Siedlungsorte aberkannt. 2006 wurde die Zahl der Bürger deutscher Abstammung in den drei kaukasischen Republiken auf ca. 3.000 geschätzt, ungefähr die gleiche Anzahl ist aus den südkaukasischen Staaten nach Deutschland ausgereist. Im August 1991 gründete sich in Tbilisi die Assoziation der Deutschen Georgiens (Einung), ein Jahr später in Baku die Gesellschaft Wie- dergeburt.